In Japan schlafen 2.820 Menschen auf der Straße.
In Deutschland sind es 532.000.
Japan hat die Obdachlosigkeit besiegt. Das Gesundheitsministerium verkündet im Januar 2024 stolz die niedrigste Zahl seit Beginn der Erfassung.
Eine Erfolgsgeschichte?
Die wahre Geschichte schreiben die Parkbänke.
In Tokio haben sie jetzt Armlehnen in der Mitte. Was aussieht wie Komfort, ist Kontrolle. Man kann sich nicht mehr hinlegen.
Das ist kein Zufall, sondern Design.
In Bahnhöfen gibt es Skulpturen, die das Liegen unmöglich machen. Also übernachten sie in Internet-Cafés, auf der Couch von Freunden. Sie fallen aus der Statistik, weil sie nicht auf der Straße liegen.
Das japanische System folgt einer klaren Hierarchie: Erst die Eigenverantwortung, dann die Familie, zuletzt der Staat. Es ist ein System, das auf Scham basiert. Wer um Hilfe bittet, verliert das Gesicht. Also bittet man nicht.
Deutschland zählt anders, denkt anders.
Wir erfassen jeden in Notunterkünften, in Sammelheimen, in überlassenen Räumen. Japan löst Probleme durch Unsichtbarmachung. Nur wer sichtbar auf der Straße liegt, zählt. Wer unterwegs ist, wird übersehen, existiert nicht in der Statistik.
Verschwunden oder nur verschoben?
Vielleicht ist Deutschland nicht besser. Vielleicht zählen wir nur ehrlicher. Oder unehrlicher, je nachdem, wie man es sieht.
Aber wenigstens können sich Menschen noch auf Bänke legen.
Noch.
Diese Armlehne steht nicht für Bequemlichkeit, sondern für Ausgrenzung. Sie trennt nicht nur Sitzplätze. Sie trennt Menschen von Menschen. Sie trennt uns von uns selbst.
Sie sagt: Du gehörst hierher, du nicht.
Du bist willkommen, du nicht. Du bist Mensch, du nicht.
Am Ende sind wir alle nur eine Krise, eine Krankheit, einen Schicksalsschlag entfernt von dieser Bank. Von dieser Armlehne. Von diesem Nein.
Tokio hat die Obdachlosigkeit nicht besiegt. Es hat nur gelernt, sie zu verstecken. In Internet-Cafés, in Statistiken, in der Scham. Diese Menschen sind nicht weniger obdachlos, nur anders obdachlos.
Sie liegen nur nicht mehr auf Parkbänken.
Die haben jetzt Armlehnen in der Mitte.
Wir sollten weniger auf die Zahlen schauen und mehr auf die Parkbänke.
Sie erzählen uns mehr über eine Gesellschaft als jede Statistik